Erfahrungsbericht Johannes
Interviewer*innen: Also vielleicht fällt dir schon intuitiv eine Geschichte ein, wo du sagst, ja das passt.
Johannes: Nein, ich habe sehr lange drüber nachgedacht, was für mich Stigmatisierung bedeutet. Ich habe das nie offen oder direkt erlebt. Eher irgendwie so unterschwellig und dass ich mir die Frage gestellt habe, fehlt mir irgendwie ein Gen oder wenn ich zum Beispiel keine Arbeit mehr bekam, und man hat mir nicht gesagt warum. Ich konnte dann immer nur mutmaßen warum und weshalb, dass möglicherweise [die psychische Erkrankung] eben der Grund war. Wenn man sich als Alkoholiker outet oder man sagt, man hat Depression, dann macht das vielen Menschen erstmal Angst, glaube ich. Ich habe mein Gegenüber oft als unwissend in Bezug auf seelische Erkrankungen erlebt und dass die Menschen deswegen nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Ich bin ja irgendwie nicht kompatibel zum Gro der Gesellschaft. So. Und da tue ich mich schwer mit dem Begriff Stigmatisierung. Also für mich ist es einfach gesund, wenn ich versuche auch in dieser Gesellschaft meinen Platz zu finden und trotzdem ich zu bleiben - mit meinen Schwächen. Und dazu gehört eben auch eine gewisse psychische Labilität, das gehört einfach zu mir. So, und das heißt, ich meide bestimmte Bereiche, in denen ich mich unwohl fühle, ohne dass ich mich ausgegrenzt fühle, denn ich nehme diese Ausgrenzung ja selbst vor. Also ich stigmatisier mich auch einen Teil selbst, weil ich zum Beispiel große Feiern meide, die mir inzwischen ein Gräuel sind. Busfahren ist mir ein Gräuel, überhaupt große Menschenansammlungen. Das ist einfach eine Folge meines Lebens, meines Werdegangs, ein Stück weit vielleicht auch Symptom dieser seelischen Erkrankung. Und ich habe dann eben geguckt - über ganz viele Wege und das dauerte auch sehr, sehr lange - wie kann ich trotzdem in dieser Gesellschaft einfach auch überleben bzw. leben und sogar gut leben.
I: Ja, und auch anderen Leuten was Gutes tun, wenn ich an deine Tätigkeit als Clown denke.
J: Ja das ist auch etwas, wo ich für mich einen Platz [gefunden hab], das mein ich damit. Ich habe sehr lange dazu gebraucht, ich habe mehrere stationäre Therapien gemacht und war Jahre in ambulanter Behandlung. Ich gehe heute immer noch einmal in der Woche zu einem Yoga-Lehrer, wo wir die Woche einfach beleuchten und gucken, wo bin ich wieder in so Verhaltensweisen gerutscht, die meine seelische Erkrankung begünstigen. Ich habe da ja selbst ganz viel Macht drüber und ich tu mich immer schwer damit, die Gesellschaft bzw. mein Gegenüber dafür verantwortlich zu machen, wie es mir geht, denn mein Gegenüber kann ich nun mal nicht ändern. Ich bin da ganz zwiegespalten mit dieser Stigmatisierung, natürlich kann ich sagen, Ätsche-Bätsche, ihr wollt mich nicht, aber das nützt mir nichts.
I: Okay, ich glaub das verstehe ich, aber ich versuch`s trotzdem nochmal auf den Punkt zu bringen. Du sagst, du tust dich mit dem Begriff Stigmatisierung zumindest zum Teil schwer, weil eigentlich ist es ja gar nicht so wichtig, eigentlich entscheidet es sich ja bei dir und nicht bei den anderen Leuten?
J: Genau. Es ist zwar verständlich, den Wunsch zu haben, der andere solle sich bitte ändern, aber das kann ich nicht verlangen. Ändern kann ich nur mich selbst.
I: Welche Erfahrungen hast du mit Vorurteilen gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen gemacht?
J: Das ist für mich ganz ganz schwer zu beantworten. Ich würde sagen, da habe ich keine direkten Erfahrungen gemacht. Ich habe ganz lange keine Arbeit bekommen, zum Beispiel. Und ich kann eben nur vermuten, dass es an meiner Erkrankung lag, weil mir das eben nie direkt gesagt worden ist. „Weil du die und die Krankheit hast, können wir dich nicht einstellen. Wir haben Angst davor, dass du nicht funktionierst.“ Das sagt ja keiner. Und trotzdem bekommt man keine Arbeit und - wie soll ich das sagen - ich kann das ja nicht mit Bestimmtheit sagen. Das ist lediglich eine Vermutung von mir.
I: Aber warum hast du eigentlich die Vermutung? Es könnte ja auch an deinem Geschlecht oder deinem Alter gelegen haben?
J: Gut, warum habe ich die Vermutung? Weil ich mich mit dieser Erkrankung nicht okay fühle, da ist sie wieder, diese Selberstigmatisierung. Also als Mann fühle ich mich okay, wenn mich ein anderer ablehnt. Aber wenn mich jemand ablehnt, weil ich Alkoholiker bin oder weil ich in meinem Verhalten vielleicht nicht ganz so berechenbar bin, dann fühl ich mich verkehrt. Und deswegen, glaube ich, es kann irgendwie nur daran liegen. Mit meiner Arbeit als Clown da kommt ganz viel zusammen. Ich bin mein eigener Herr, ich bin völlig selbstsicher, ich kann zu den Häusern hingehen also hauptsächlich Altenheime, ich kann sagen so und so ist das, die und die Arbeit mach ich, das und das kostet es die Stunde und da bin ich völlig sicher und da bin ich auch in einem Bereich, wo ich ganz schnell sagen kann, da hast du keine Ahnung von, wenn mir da jemand versucht an reinzureden oder so. Da kann ich schon sehr selbstsicher [sein] und es findet ein Stück Heilung statt durch diesen beruflichen Erfolg. Aber diesen beruflichen Erfolg hab ich letztendlich nur mir zuzuschreiben und deswegen kann ich, wenn ich jemandem Mut machen sollte - es ist verstehbar, wenn jemand stigmatisiert wird, ob nun bewiesen oder unbewiesen, dann ist das verstehbar, dass man sich nicht gut fühlt - aber ich kann jeden nur unterstützen zu gucken, was tue ich selbst, um die Krankheit zu begünstigen oder gesünder zu werden, das muss man immer überprüfen. Was tue ich selbst, was trage ich dazu bei, dass ich stigmatisiert werde, weil in dem Moment, wo ich denke, ich bin verkehrt, das denke ja ich. Ich kann das nicht an meinem Gegenüber festmachen, selbst wenn der mich ganz offensichtlich unfair behandelt.
Und ich glaub, was vielleicht auch helfen würde, also so gesamtgesellschaftlich - deswegen finde ich die Kampagne auch gut -, dass den Menschen die Angst davor genommen wird. Selbst wenn sie sagen, ich habe keine Angst davor, aber Unsicherheit und Angst das führt ja zur Stigmatisierung. Es ist einfacher zu sagen, ja kenn ich nicht, den lass ich links liegen. Redet mehr miteinander, fragt mehr nach. Vielleicht ist es auch Bequemlichkeit, dass man sich damit nicht beschäftigen möchte. Da finde ich es wiederum wichtig, dass die Leute wissen, der eine bricht sich ein Bein und der nächste kriegt eine Depression. Und mit nem Beinbruch können die Menschen viel, viel besser umgehen als mit einer psychischen Erkrankung.
I: Du hast gerade von Bewerbungsgesprächen und Arbeitgebern gesprochen. Darf ich fragen, ob du das offen kommuniziert hast in den Bewerbungsgesprächen?
J: Nein. Also das ist ja jetzt schon ne Weile her und ich hab dann eher den Rückzug angetreten. Damals war ich auch noch nicht in der Lage besser zu reagieren bzw. war mir vielleicht auch der Job dann nicht wichtig genug. Höchstens in Selbsthilfegruppen hab ich das besprochen, wie es mir damit geht. Ich muss aber auch auf der anderen Seite sagen, ich bin heute ganz dankbar sogar darüber, weil das wäre für mich nicht die richtige Arbeit gewesen. Ich bin ja gelernter Erzieher und hab mich eigentlich immer so auf Stellen beworben, die mit meiner Vergangenheit zusammenhängen. Ich selber bin Heimkind und hab so nach diesem Motto gelebt, ich will alles anders machen, ich will alles besser machen. Und ich hab mich dann eigentlich ständig in diese alten, kaputten Strukturen hineinbegeben - so jobmäßig. Und da hatte ich überhaupt nicht den Abstand dazu. Ich wusste überhaupt nicht, was Abstand bedeutet. Das weiß ich jetzt in meinem Beruf. Da kann ich mich sehr gut distanzieren. Alles was ich dort tue und was ich dort erlebe, ist für mich okay - das baut mich eher auf. Weil diese Dankbarkeit der Leute einfach zu spüren und wie die da mitgehen und dass ich wirklich in der Lage bin, in den Leuten was auszulösen, anzutickern und so, das gibt mir unheimlich viel. Bei der Arbeit als Erzieher hab ich immer gedacht, ich kämpf die ganze Zeit mit Leuten, die was ganz anderes wollen als ich, und deswegen bin ich ganz froh darüber, dass andere für mich entschieden haben, nö, du bist nicht der richtige für diesen Job. Man kann das dann als Stigma empfinden, man kann aber auch sagen, die haben ein Stück weit Recht.
I: Also es geht dann in die Richtung Passung? Was passt zu einem?
J: Genau, genau, ganz genau. Und das erfordert ja auch Mut. Gerade so nen Job zu machen, wie ich den habe. Das macht ja keiner. Den Job, den habe ich mir ja selbst erfunden. Das ist ja das Tolle. Und dass ich mein Geld damit verdienen kann, ich hab noch nie so viel Geld verdient und alles ist gut. Aber um da nochmal zurückzukommen. Damals blieb mir nur Rückzug und wie gesagt, da war ich psychisch und kognitiv noch nicht so souverän, dass ich da nachgefragt hätte.
[...]
I: Wie haben diese Erfahrungen, also diese Erfahrungen mit Stigmatisierung oder diese Nicht-Erfahrungen deinen Umgang mit der Erkrankung beeinflusst? Oder anders gefragt: Haben sie überhaupt diesen Umgang beeinflusst?
J: Ich sag mal diese angenommene Stigmatisierung, die hat erstmal zu einem Rückzug bei mir geführt. Danach aber auch zu einem Dranbleiben, so, dass ich mir Hilfe geholt habe. Mit Selbsthilfegruppen, Psychiatrie, auch Medikamente, Therapie und so weiter und so fort. Zum Glück gab`s immer eine Stimme in mir, die gesagt hat, du holst dir Hilfe. Und zum Glück leben wir ja in einem Land, wo es ganz viele Hilfen gibt. Ich musste nur losgehen und das hat dazu geführt, dass ich mich dann mit mir und mit anderen darüber auseinandergesetzt habe. [...] Dass ich dann in einer Selbsthilfegruppe gesprochen hab, Mensch ich bin schon wieder abgelehnt worden, oder ich bin jetzt fünf Jahre arbeitslos und irgendwie gehör ich schon zum alten Eisen. Jetzt fällt mir ja doch ein Beispiel ein. Da war ich mal wieder in so einer Arbeitslosenmaßnahme und die haben mich dann zu einem Lieferservice geschickt. Und da hab ich dann den ganzen Tag Besteck umgedreht oder eingewickelt. Hätte ich auch noch gemacht, weil ich wollt ja meine Clownausbildung finanzieren. Und dann saß ich in diesem Büro mit drei Mitarbeitern oder Chefs und fragte nur, weil man musste auch am Wochenende arbeiten, ob es möglich ist, dass ich bestimmte Wochenenden meine Ausbildung zum Clown mache. Und dann haben sie gesagt, wollen sie arbeiten oder wollen sie nicht arbeiten. Und das hab ich wirklich als Stigma erlebt. Man hat mir das nicht erlaubt. Ich war für die irgendwie nur ne Nummer, ich wurde denen zugeteilt. Und dann hab ich zu denen gesagt, ich glaub, das ist hier nichts für mich. Ich hab das immer so gesehen, ich kuck, gefällt’s mir und gefall ich. Und das waren die scheinbar nicht gewohnt. Und dann ist dieser Chef aufgestanden und hat gesagt, ich ruf jetzt ihren Betreuer an. Und ich hab gesagt, Betreuer wie, ich fiel wirklich vom Glauben ab. Was hat der denn für ne Meinung über mich? Und dann reden die wirklich miteinander über mich und der Angerufene sagt, ja dann schicken sie ihn mir mal her. Dann bin ich wieder zu dieser Maßnahme gegangen und hab gesagt, ich hör jetzt hier auf und ich mach jetzt Clown, damals gab es noch die Ich-AG. Das beantwortet dann vielleicht auch deine Frage: Direkte Stigmatisierung bringt mich dazu zu sagen, lass stecken, ich mach jetzt Clown. Also ich hatte eigentlich nichts mehr zu verlieren so für mein Inneres. Stigmatisierung hat mich also eigentlich immer dazu gebracht, in die Flucht nach vorne oder eben in eine andere Richtung.
I: Die Verbindung von Stigmatisierung und Rückzug versteh ich relativ schnell, glaub ich, aber die Verbindung von Stigmatisierung und dann als Antrieb zum Hilfesuchen, kannst du dazu vielleicht noch einmal etwas sagen?
J: Ja, ich kannte ja die Hilfen. Ich hab mich aus der Situation rausgezogen also Rückzug, aber trotzdem hatte ich inzwischen gelernt - durch Therapie und so weiter - dass ich mir trotzdem die Situation ankucken muss.
I: Also ich hab das so verstanden, dass dich die Stigmatisierung dazu getrieben hat, an dir zu arbeiten oder dir Hilfe zu suchen. Aber die Verbindung, warum das so war, hab ich noch nicht ganz verstanden.
J: Das löst dann in mir so ein Gefühl aus, das sagt, euch werd ich's zeigen. Das löst zwar auch aus, und da kann ich wirklich nur für mich sprechen, die wollen mich nicht, ich bin schlecht oder ich bin nicht gut oder nicht gut genug. Aber es kommt dann bei mir auch hoch, nix da, ihr könnt mich mal. Und das ist ein Antrieb, das ist dann auch eine Wut. Und die Wut ist eine Kraft, zumindest wenn ich die richtig kanalisiere. Natürlich kann ich auch rumschreien - dann isses aber hilflose Wut. Aber wenn ich die kanalisieren kann, dann ist es eine Energie - also das Benzin, sodass ich wieder weiterfahren kann.
I: Gab`s denn auch Situationen in denen du positiv überrascht worden bist, also zum Beispiel dass jemand anders reagiert hat, als du es erwartet oder befürchtet hättest oder hast?
J: Also das war in Therapie und das ist ja nicht die Gesellschaft draußen. Ich habe sehr darunter gelitten, dass ich dachte, mein Gegenüber findet mich nicht gut. Dann hat mir der Therapeut die Aufgabe gegeben nachzufragen, jedes Mal wenn ich das von meinem Gegenüber denk. Und in 95% der Fälle hatte das nichts mit mir zu tun. Also die, denen ich das unterstellt habe, dass sie mich böse angeguckt haben, die hatten selber gerade irgendwelche eigenen Schwierigkeiten. Das hatte mit denen selbst zu tun. Die Frage ist häufig, mach ich das selbst oder macht mein Gegenüber das. Das ist ganz entscheidend. Wenn ich immer nur sage, das ist mein Gegenüber, dann bin ich ein Opfer. Dann hab ich keine Chance. Die Chance, die ich habe, ist mich zu ändern.
Also ich wurde immer überrascht, wenn jemand ganz nett und freundlich ist oder wenn ich jemanden finde, wo meine Art mit jemanden umzugehen, einen Landeplatz findet. Im Beruf hab ich überhaupt keine Schwierigkeiten damit. Da finden 90% der Leute das, was ich mache, gut. Ich löse dabei das aus, was ich gerne auslösen möchte. Und als Privatmann: meine Bekannten wissen ja auch von meiner psychischen Erkrankung. Ich kann nicht sagen, ich bin überrascht worden oder so. [...] Nee, und wenn dann waren das auch immer Leute, die in der Materie steckten. Die können ja souveräner mit dir umgehen.
Und ich mein, das betrifft ja mehr Menschen, als man so glaubt. Und wann fängt ne psychische Erkrankung an und wo hört sie auf. Das sind so Fragen. Also eigentlich hat doch jeder ne Macke.
I: Inwiefern siehst du deine psychische Erkrankung als Ressource oder Stärke?
J: Als Ressource und Stärke? Ich sag mal so ganz, 100 Prozent. Das ist eine Ressource, wenn ich schaffe, das in die richtigen Bahnen zu lenken. Und das sagte ich ja bereits, wenn ich die Einsicht habe, die Krankheitseinsicht habe. Also wenn ich sage, trotz der Erkrankung bin ich ein toller Mensch, ein ganzer Mensch. Wenn ich das schaffe mein unangemessenes Verhalten zu beleuchten. Und wenn ich das irgendwie verändern kann. Und meinen Platz gefunden hab aufgrund dieser ganzen Sachen, die ich so mache, also wenn ich dran bleibe. Eigentlich hat mich das dahin gebracht, wo ich heute bin, und ich möchte nicht woanders sein. Ich fühle mich als vollintegriertes Mitglied der Gesellschaft und trotzdem bin ich unheimlich individuell. Weisst du, ich bin mir selber gerecht geworden und trotzdem kann ich hier in der Reihenhaussiedlung wohnen. Ich hab ne Frau seit 16 Jahren, das war früher für mich völlig unmöglich. Ich wohn in einer Neubausiedlung und bin anerkannt. Die Leute hier wissen, dass ich Clown bin - das finden die lustig. Der Großteil mag mich. Da gibt’s auch Situationen, wo ich denke, oh, die guckt aber schief. Aber ich sehe das inzwischen anders. Dass es da eben nicht um mich geht. Und daher kann ich sagen, kommt drauf an, wie ich selber damit umgehe. Das kann natürlich auch völlig nach hinten losgehen. Es gab auch Zeiten, da war ich sowas von verwackelt, hab nur noch an Selbstmord gedacht, hab gar keine Möglichkeit mehr gesehen, völlig egozentrisch. Da hab ich mich nur noch um mich selbst gedreht und war nicht in der Lage aus mir raus zu kommen. Da kann man dann natürlich nicht von Ressource sprechen.
I: Hast du nen Tipp – ganz abgesehen von deiner ganz individuellen Geschichte –, wo du sagen würdest, das hilft, um aus der Egozentrik rauszukommen oder aus dem um sich selbst drehen oder den Grübelgedanken, den Kreisläufen, Spiralen?
J: Ich kann das wirklich nur wieder für mich selber sagen. Mir hat knallharte Verhaltenstherapie geholfen. Ich war zweimal in einer 12-Schritte-Klinik und da musste ich immer Verträge machen. Was du irgendwie süchtig betrieben hast, das durftest du nicht mehr machen. Also wenn ich mich zurückgezogen habe, durfte ich das nicht. Wenn ich zu viel unter Leuten war, dann musste ich mich zeitweise zurückziehen. Wenn ich zu viel mit Frauen zu tun hatte, dann sollte ich mich gefälligst um die Männer kümmern. Und wenn ich dann diese Egozentrik habe, dann ist es gut mich mitzuteilen. Ich muss dann raus aus mir. Und das geht ja erstmal hauptsächlich durch die Sprache. Und dann saß ich da in so einer Gruppe und hab gesehen, dass das auch anderen so geht. Und dann hab ich als Rückmeldung bekommen, du erzählst immer dasselbe. Und dann wurde ich sauer darüber und was weiß ich, und schon kommt was in Gange. Was ich beleuchten kann. Und das in einem geschützten Rahmen. Das find ich - kommt drauf an wie tief man in seiner Erkrankung drin steckt - dann find ich einen geschützten Rahmen schon wichtig. Und therapeutische Gemeinschaft. Dass andere dich auf dein Verhalten hinweisen und rückmelden, wo du deine Krankheit begünstigst. So wie wenn ich ständig egozentrisch bin. Oder ich bin anderen gegenüber abfällig. Und das wurde rigoros gehandhabt. Da hat jemand einen Gedanken geäußert und ich hab das abgewunken. Da sagte die Therapeutin gleich, Hannes, was war das denn? Dass, wenn man den anderen klein macht - das war nur so ne Geste – dass, das bewusst gemacht wird. Und was mein Verhalten mit anderen macht. Das hat mir geholfen. Vielleicht kann ich das ein bisschen verallgemeinern: Ich darf nicht für mich bleiben. Wenn ich mich zurückziehe, wird’s schwer. Denn dann bin ich eigentlich verloren. Und nicht so als Opfer meiner Erkrankung fühlen. Kucken und Hilfe holen.
I: Hab ich dich richtig verstanden, das hat bei dir auch ne Entwicklung losgetreten die Erfahrung mit deiner Erkrankung. Und du hast Lust gehabt etwas zu verändern, oder?
J: Ja, das war zum Glück auch so. Als ich das erste Mal in der Selbsthilfegruppe war, da hab ich wirklich gedacht, da war ich noch auf Drogen und trotzdem hab ich gedacht, endlich mal Leute, die über das sprechen, was dich eigentlich interessiert. Endlich mal so ein Platz. Das hat mich auch gerettet. Und ich weiß aber auf der anderen Seite auch, wie viele Rückfälle das gibt. Ich hab wirklich eine immense Verhaltensänderung hinter mir und deswegen kann ich auch sagen, es ist möglich. Wenn ihr mich damals gesehen hättet, das hättet ihr mir nicht geglaubt. Wenn man das gegeneinanderstellen würde, das geht eigentlich gar nicht. Aber es geht doch.
I: Wenn du dir was wünschen könntest von deinen Mitmenschen oder von der Gesellschaft in Bezug auf den Umgang von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder einfach auf den Umgang mit psychischen Erkrankungen, hast du da was?
J: Ja, also miteinander sprechen. Selbst wenn man Angst hat, trotzdem den Mut aufzubringen darüber zu sprechen oder vielleicht auch was wissen zu wollen oder auch den Menschen besser kennenlernen zu wollen. Also erstmal den etwas schwierigeren Weg gehen und ein bisschen mehr miteinander reden. Das würde ich mir wirklich wünschen. Und eine Offenheit mitzubringen. Das wäre natürlich toll. Das kann ich inzwischen zum Glück mit meinen Arbeitskollegen, dass ich sagen kann, Mensch, ich hab heute so ne depressive Phase, ich weiß gar nicht, wie ich das heute machen soll. Und wenn dann das Gegenüber keine Angst davor hat. Dann kommt vielleicht noch, komm, ich übernehm das mal heut ein bisschen mehr, oder was kann ich tun oder so. Wenn man nicht spricht, ja dann bleibt‘s halt so. Mehr Offenheit wäre toll. Dann würde ich wirklich in einer tollen Welt leben. Wenn ich da wirklich ohne Angst oder sonst wie darüber sprechen könnte. Und heute ist es dann leider doch immer noch so. Du kannst dich ja nicht einfach da hinstellen, auf den Südermarkt oder so, und kannst sagen, ich hab Depression. Naja, kann ich vielleicht mal machen, mal sehen, was dann passiert. Ja, ich find‘s einfach immer gut, dass Leute, die auch selber psychisch krank sind, dass die das auch selber schaffen, sich zu öffnen. Also einfach beiderseitig mehr Offenheit im Umgang miteinander. Wär' doch toll, wenn ich zu jemandem hingehen könnte und sagen, he, sag mal, hast du irgendwas gegen mich? Ja wieso das denn, ja, du guckst so komisch. Nee, ich hab heute Morgen Ärger gehabt, sagt er dann. Wär doch toll, wenn man das dann so klären könnte. Einfach ein bisschen netter miteinander umgehen.
I: Wir hätten noch eine Frage, die sich aus dem Gespräch entwickelt hat. Du hast vorhin über das Funktionieren gesprochen, dass das auch eine Sache bei dir gewesen ist in Bezug auf psychische Erkrankungen. Hast du das Gefühl dein Blick auf Funktionieren hat sich ein bisschen geändert jetzt auch während deines Wegs?
J: Mhm, ich sag mal so. Eigentlich hab ich ja immer funktioniert, ich war nur immer am falschen Platz. […] An bestimmten Orten und Plätzen würde ich immer noch nicht funktionieren. Das würde nicht gehen, das könnt ich nicht. Aber am richtigen Platz, dann flutscht das - dann laufen die Zahnräder.