Liebe Leudde,
nachdem wir in den vergangenen Wochen viel über das Thema Positive Psychologie geschrieben haben und sicherlich auch noch schreiben werden, wollen wir den heutigen Funke mal dazu nutzen, ein kleines Zwischenresümee aus den letzten Monaten zu ziehen. Da unser (Arbeits-)Alltag sich kaum noch von dem „vor Corona“ unterscheidet und wir beide im August ein bisschen freinehmen, wird es unseren Funke ab jetzt einmal im Monat geben – vielleicht dann auch unter einem anderen Namen. Wenn ihr dazu Vorschläge habt – immer her damitJ! Bevor wir uns also in den Urlaub verabschieden, möchten wir innehalten und unsere Gedanken zu der verrückten Zeit, die hinter- und womöglich noch vor uns liegt, niederschreiben.
Unter einer Krise wird in der Wissenschaft ein in Verlauf und Folgen offener Veränderungsprozess verstanden. Erst im Verlauf entscheidet sich, ob sie heilsam ist und Chance zur Weiterentwicklung bietet oder es zu nachhaltigen negativen Veränderungen kommt. Der Autor Jan Lenarz schreibt in seinem Artikel „Krisen sind nicht immer Chancen: Warum wir erst mal heilen müssen“ (https://einguterplan.de/corona-krise-chance) von seinen Bedenken, zu schnell ein Augenmerk darauf zu legen, die Krise hinter uns zu lassen und (wieder) in ein Wachstumsdenken zu verfallen, ohne uns die Zeit dafür zu nehmen, dem Erlebten und damit einhergehenden (negativen) Gefühlen Raum und Anerkennung zu geben:
„[…] Aber es scheint, als ob uns dieses Recht auf Heilung nicht gestattet wird. Nicht nur nicht von Erfolgscoaches (von denen ich das auch gar nicht erwarte), aber auch nicht von uns selbst. Ja, ich weiß, wir haben alle keine Zeit dafür, fast alle von uns befinden sich in extrem unsicheren Verhältnissen. Allein in Deutschland sind über zwei Millionen Menschen in ihrer Existenz bedroht, ein ganzes Fünftel dieses Landes muss jetzt mit weniger Einkommen zurechtkommen als vor der Krise. Aber wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir nun kollektiv so tun, als ob wir einfach weitermachen können, als ob nichts passiert wäre. Wir sollten aufhören, Leid per se als ultimatives, individuelles Versagen zu definieren.
Ich fordere nicht, dass wir jetzt alle erst mal Urlaub machen, die Möglichkeiten hat kaum jemand. Es geht allein um einen inneren Prozess, der weder Zeit noch Geld bedarf. Es geht um deine innere Stimme, die von dir vielleicht verlangt, dass du dich jetzt wieder so richtig ins Zeug legst und die dir erzählen will, dass die letzten Monate Entschleunigung waren. Aber das war keine echte Entschleunigung, sondern erzwungener, von Unsicherheiten geprägter Stillstand. Das ist etwas ganz anderes.
Wenn die Pandemie eine Chance in sich trägt, dann nur die, dass wir nun ernsthaft überlegen können und müssen, was wir verloren haben. Was wir verändern wollen. Was wir wiederaufbauen wollen. Und was nicht. Aber dafür braucht es schonungslose, schmerzhafte Selbstreflexion. Denn von allein werden wir nichts verändern. In Krisen stecken nicht automatisch Chancen. Das ist ein gefährlicher Mythos. Manchmal ist eine Situation einfach nur furchtbar und nichts Gutes entsteht aus ihr. Sehen wir das nicht ein, tragen wir im schlimmsten Fall unsere Verletzung einfach nur mit uns herum. […]“
Wir haben in den vergangenen Monaten gemerkt, was für ein Schatz es ist, Menschen bei unserer Arbeit persönlich begegnen zu dürfen und dass kein Medium - auch wenn es für eine gewisse Zeit eine „Brücke“ sein kann - diesen Kontakt ersetzen kann. Unsere Gruppen, die wir in der Zeit vor Corona und auch jetzt langsam wieder regelmäßig treffen, bedeuten auch für unseren Alltag Struktur und geben Sinn und Halt. Gemeinsame Erlebnisse zu teilen und zu besprechen, egal ob sie schön oder schwer oder einfach nur sind, ist so viel leichter, wenn man sich bei einer Tasse Kaffee gegenübersitzen kann. Und wir wünschen uns, dass wir bald auch wieder gemeinsam Kochen dürfen oder Spielespielen ohne Schnutenpullis und anschließendem Kartendesinfizieren. Aber so lange es sein muss, ist das eben so, und es ist toll, dass durch das Zutun aller schon wieder so viel möglich ist.
Es war auf der einen Seite schön zu erleben, wie Menschen in Krisenzeiten zusammenrücken (natürlich metaphorisch gesprochen :-)) und -halten. Ob eine riesige Bereitschaft für Nachbarschaftshilfe, Solidarität mit Menschen aus Risikogruppen oder lustige Ideen und Aktionen gegen die Langeweile und Einsamkeit – wir können’s eben doch. Und es wäre so schön, wenn das nicht so schnell wieder in Vergessenheit gerät und das hektische Hamsterrrad des Alltags ab und zu eine Pause lässt, um auszusteigen und durch-zuatmen (oder eine Runde Rennrad zu fahren).
Auf der anderen Seite ist die weltweite Angst vor einer Bedrohung, die sich mit nichts so richtig vergleichen lässt, in allen Bereichen des Alltags spürbar gewesen. Angst steckt an. Zukunftsängste und Ungewissheit sind keine angenehmen Gefühle. Gleichzeitig haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass wir uns an Ausnahmezustände gewöhnen können und die Angst irgendwann nachlässt oder irgendwie einfach dazugehört.
Dabei ist es schön, dass inzwischen auch wieder andere Themen Platzhaben und das momentane Aprilwetter ein immer attraktiveres Smalltalkthema wird. Aber mal Hand aufs Herz: Wir haben Glück gehabt und durften jeden Tag ins Büro fahren. Unser Alltag wurde nicht von jetzt auf gleich auf Null gesetzt. Wir gehören keiner Risikogruppe an und haben Menschen um uns herum, die uns auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt haben, wenn die Panik doch mal hochgekocht ist. Und trotzdem gibt es auch ein paar Sachen, die ein bisschen fehlen – und zwar das Gefühl, einfach mal zu Hause sitzen zu dürfen und nichts zu verpassen. Dass es okay ist, einfach nach Feierabend eine Runde um die Felder zu laufen, weil mehr eben nicht geht. Mit einem Tempo, das Zeit lässt, sich einer Sache nach der anderen zu widmen - nicht drei Sachen gleichzeitig zu machen oder bedenken zu müssen.
Ein Blick auf den Kalender in der zweiten Jahreshälfte verrät uns, dass mehr los sein wird als in der ersten. Zugleich ist es utopisch, alles Ausgefallene nachzuholen, vor allem, wenn ungewiss ist, ob die Planungen sich überhaupt in die Tat umsetzen lassen. Aber wenn uns Corona hold sein sollte, gibt es vielleicht im Herbst schon wieder kleinere Veranstaltungen im Grünen, zur Aktionswoche Seelische Gesundheit und eine Preisverleihung im Rahmen der Flensburger Kurzfilmtage. Aber das kündigen wir natürlich rechtzeitig an :-). Bis dahin freut sich Bente auf die erste wieder stattfindende Familienfeier seit Weihnachten. Und Roger auf die schönen Farben im Spätsommer und Herbst.
Bis dahin wünschen wir uns und euch eine dicke Portion Optimismus …
… und natürlich gute Tage und viel Gesundheit.
Bis bald, Bente und Roger
Präventionsteam der Brücke Flensburg
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