Liebes Jahr 2020,
beim sonntäglichen Spaziergang durch das dunkle und klammnasse Flensburg-Weiche habe ich mir die ganzen geschmückten Häuser angesehen. Wie du ja weißt, neige ich dazu, Lichterketten in der Vorweih-nachtszeit in goldgelb-gemütliches Licht (in meinen Augen „akzeptabler“ Weihnachtsschmuck) und weißgrell-ungemütliches Licht (wenn man mich fragt, so was von unweihnachtlich) einzuteilen. Natürlich ist das Geschmackssache. Und irgendwie passt dieses Bild auch ganz gut für meine momentane Weihnachtsstimmung. Eine Seite von mir fühlt sich behaglich-besinnlich-eingegrooved und die andere findet, dass sich das alles gerade nicht so passend anfühlt.
Wenn ich so meinen Kalender betrachte, war der dieses Jahr ziemlich leergefegt und trotzdem ist auch mein Energielevel ziemlich im Keller. Ich bin mit einem anderen Maß an Grundanspannung unterwegs, was sich vor allem zu Beginn des Jahres und auch jetzt am Ende in der „zweiten Welle“ bemerkbar macht. Während sich die meisten Menschen in meinem Umfeld, ich inklusive, erstmal an eine globale Unsicherheit und Grundangst gewöhnen mussten, habe ich momentan das Gefühl, alle sind ein bisschen mürbe und schlapp. Ich vermisse meinen Freundeskreis, der zu einem Großteil deutschlandweit verstreut ist, und ich brauche ganz einfach eine Pause.
Ich möchte mir meine Lieblings-DVDs nehmen (im Moment geht da außer Animations- und Fantasyfilmen so gut wie nichts – es geht doch nichts über ein klares Gut und Böse, etwa wenn Gimli und Legolas Seite an Seite um Mittelerde kämpfen) und mich mit einem gefüllten Kühlschrank einigeln, mir selbst einige Tage Nachrichtensperre verordnen und höchstens mal zu einem Mittagsspaziergang das Haus verlassen. Klingt jetzt sehr beschränkungskonform, könnte man sagen. Finde ich auch, nur nicht sehr konform mit meinem eigentlichen Geselligkeitsdrang (oder –zwang?!) um diese Jahreszeit. Habe ich jetzt eine komplette Persönlichkeitsveränderung durchgemacht? Nee. Ich habe einfach nur keine Lust mehr auf die ständig selben Gesprächsthemen. 2020, irgendwie fühlst du dich an wie eine Schallplatte mit Sprung, die immer an derselben Stelle hängenbleibt. Oder wie ein Karussell, in dem einem schon leicht flau im Magen ist, das aber trotzdem nicht anhält.
Und gleichzeitig kann ich dir auch nicht vorwerfen, dass du nicht auch deine Vorzüge hattest. Du hast mir den Raum gegeben, mit mir und den Menschen um mich herum auf ganz andere Weise in Kontakt zu treten und neue Seiten kennenzulernen. Hat ja auch was für sich, sich mal auf sich selbst zu konzentrieren und zu beobachten, was passiert, wenn der Motor mal gezwungenermaßen ein oder zwei Gänge herunterschaltet. Und dafür bin ich dir sehr dankbar. Ich wünsche mir, dass ich mir das Gefühl und über die Monate neue und lieb gewonnene Rituale erhalten kann. Und ebenso ein dickes DANKE für die lieben Menschen in meiner Umwelt, beruflich und privat, die so uneingeschränkt hinter mir stehen (– ich glaube, ich war noch nie so froh über meine Telefonflat). Wenn ich an sie denke, könnte ich innerlich direkt zu leuchten anfangen. Goldgelb, versteht sich ;-)…
Deshalb kann ich mich auch ohne Groll von dir verabschieden. Du hast dir das bestimmt auch alles ein wenig anders vorgestellt. Oder auch nicht? Aber das weißt du ja sicher selbst am besten. Schön, dass du da warst – aber jetzt reicht es auch.
∞
Mein liebes Jahr 2020,
ja, du bist mir lieb, auch wenn ich mich nicht ganz einfach mit dir tue. Gerade habe ich wenig Energie und ich gehe davon aus, dass es mit dir zu tun hat. Und dabei hab ich mich mit den Vorbereitungen für Weihnachten noch gar nicht beschäftigt.
2020 du machst es mir wirklich nicht einfach. Auf der einen Seite habe ich so wunderbare Sachen in deinen Tagen erlebt – bin alte und neue Wege gegangen, hab andere Blicke geworfen und erlebt, mich selbst verändert und bin unerwarteten Herausforderungen begegnet. Und auf der anderen Seite verwirrst du mich ungemein. Häufig höre ich, dass du, 2020, langsamer sein sollst, als deine Vorgänger*innen. So hab ich dich aber gar nicht erlebt. Und einsamer als deine Mit-Jahre sollst du auch sein. Das kann ich persönlich aber auch nicht sagen. Naja, vielleicht ist es ja genau das. Dass du ziemlich viel herum wirbelst und ich gerade nicht mehr so richtig weiß, wo unten und oben ist.
Wenn ich mir die Welt so anschaue, dann ist mir während deines Verlaufs aufgegangen, dass es große Veränderungen geben wird. On Top, wie man heute sagt, also zu den ganzen kleinen Wandlungen, die es in jedem Jahr gibt, dazu. Was ich bisher über Klima, Konsum, Wohlstand und Gerechtigkeit gedacht habe, geht nicht mehr so richtig auf. Wenn ich’s positiv betrachte, zeigst du mir und uns, worauf wir gut Acht geben sollten – und das vielleicht allzu lang nicht getan haben. Ich werde versuchen, dies aufzunehmen und zu beherzigen. Da vertraue ich dir.
Bald schon werde ich von dir Abschied nehmen. Ich werde mich sicher auch über die Ankunft des nächsten Jahres freuen. Bitte sei dir gewiss, ich finde es schön, dass es dich gibt und auch wenn ich dich in der nächsten Zeit nicht mehr so präsent haben werde wie jetzt, hoffe ich, dass ich eine Menge von dir mitnehmen werde. Und dir damit an der einen oder anderen Stelle erneut begegne.
∞
Über dieses ganze Resümieren und Reflektieren wollen wir den Zauber der Weihnachtszeit nicht vergessen. Mit dem folgenden Gedicht hat Herr Ringelnatz diesen bei uns ganz gut zum Glühen gebracht – ganz unabhängig davon, wie man das mit dem Gott und dem Christ hält.
Weihnachten (von Joachim Ringelnatz)
Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle,
mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit.
Und ein schlichtes Glück streut auf die Schwelle
schöne Blumen der Vergangenheit.
Hand schmiegt sich an Hand im engen Kreise,
und das alte Lied von Gott und Christ
bebt durch Seelen und verkündet leise,
dass die kleinste Welt die größte ist.
Habt ihr Lust, auch eine Brief an 2020 zu schreiben? Wenn ja und ihr dazu noch Lust habt, eure Gedanken mit den anderen Leser*innen zu teilen, schickt ihn uns gern zu an praevention@bruecke-flensburg.de.
Wir wünschen euch und euren Lieben schöne und gesunde Feiertage
und einen guten Rutsch ins neue Jahr! :-)
Bis bald, Bente und Roger
Präventionsteam der Brücke Flensburg
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